Liebe Besucherinnen,
liebe Besucher!
Wenn Sie als ehemaliger Bewohner, als Nachkomme unserer Böhmerwaldheimat, oder als interessierter Besucher in diese Topothek einsteigen, so ist es nicht eine Topothek im herkömmlichen Sinn, welche gemeindeweise alte Bildaufnahmen, Dokumente, Sterbebilder und vieles mehr dem interessierten Zuseher präsentiert und auch einen Bezug dazu herstellt. Man kann an Hand der vielen Bilddokumente nur erahnen, wie schön dieses Gebiet einst war und ist schockiert, wenn man vielleicht in Natura vergleicht, wie man diese Gegend heute vorfindet.
Die Heimat meiner Eltern, welche nahe der österreichischen Grenze im heutigen Tschechien lag, wurde in den fünfziger Jahren total verwüstet, ungefähr 430 Häuser angezündet, die Mauerreste mit Planierraupen zerstört und eingeebnet. Trauriger Höhepunkt war die Sprengung der schönen barocken Pfarrkirche von Deutsch Reichenau bei Friedberg am 19. Juni 1959. Die gewaltige Detonation war so ohrenbetäubend, dass sie nicht nur in den österreichischen Nachbarorten, sondern sogar am Maria Trost Berg in Rohrbach und in Friedberg zu hören war. So wurde eine rund achthundertjährige Besiedlungsgeschichte von deutschsprachigen Vorfahren ausgelöscht und Wildnis und Öde nahmen von dieser einst so schönen Kulturlandschaft Besitz. Die ehemaligen Bewohner dieser Böhmerwaldheimat konnten das tschechische Vernichtungswerk nur von der österreichischen Grenze aus miterleben. Viele Fotoaufnahmen geben davon Zeugnis und sie sind heute bleibende Dokumente und gerade für die Nachwelt sehr wertvoll.
Alle deutschsprachigen Bewohner waren im Jahr 1946 von Haus und Hof vertrieben und in 17 Transporten, in lecken Viehwaggons in das zerbombte Deutschland gebracht worden. Familien, wo ein Elternteil österreichischer Staatsbürger war, durften bis 1948 bleiben und dann nach Österreich ausreisen, sie konnten nur die bewegliche Habe mitnehmen, das Haus, die Ersparnisse, alle Wertgegenstände, Grund und Boden, sowie das Vieh, mussten aber auch sie zurücklassen. Einige der Pfarrbewohner wurden damals in das tschechische Landesinnere verschleppt, wo sie jahrelang in Kolchosen arbeiten mussten und auch viele Jahre um eine Ausreise nach Deutschland kämpften.
Nach Errichtung des Eisernen Vorhanges im Jahr 1950, war die Gemeinde Reiterschlag Sperrgebiet, welche nur Grenzsoldaten und Waldarbeiter betreten durften. Als im Herbst 1989 dieser Eiserne Vorhang fiel, konnten die ehemaligen Bewohner dieses Gebiet wieder zum ersten Mal betreten. Viele mussten sich in dieser Wildnis erst orientieren, oft mehrmals die heimatlichen Fluren betreten um dann an Hand von Orientierungspunkten feststellen zu können, wo wirklich einmal das Elternhaus gestanden hatte und wo einst das Heimatdorf war.
Die Verwurzelung mit der ehemaligen Böhmerwaldheimat beschrieb mir Josef Bayer, vulgo Philippn-Sepp, geb. 1911, einst größter Bauer der Gemeinde Reiterschlag, in einem seiner Briefe in sehr berührenden Worten: „Denn die Heimat ist kein Bild, das vorüberrauscht, wie das im Film oder in den Zeitschriften ist, sondern es bleibt, es erzählt, es spricht uns immer wieder an, wie ein mahnendes Mutterwort, das wir längst vergessen, das wieder von unserer Seele aufsteht und an dem wir nicht achtlos vorübergehen können!“
Die Öffnung der Böhmerwaldheimat meiner Eltern für Besucher und den sanften Tourismus, inspirierten meinen Bruder Fritz und mich dazu, das Buch „Verlorene Böhmerwaldheimat“ zu verfassen. Es ist dies ein bleibendes Dokument über die verlorene Heimat unserer Eltern. Als ich damals alte Fotografien über die 16 Dörfer der Pfarre Deutsch Reichenau bei Friedberg und den dort lebenden Familien sammelte, war ich erstaunt, wie viele schöne alte Bildaufnahmen es von diesem Gebiet gibt. Interessierte ich mich vorher nur für alte Fotos vom Heimatdorf meiner Eltern und von den Vorfahren, erwachte in mir nun die Sammelleidenschaft und ich dehnte meine Suche nach alten Bildaufnahmen auf die gesamte Pfarre Deutsch Reichenau aus. Ich schrieb viele ehemalige Pfarrbewohner an und ließ mir von interessanten alten Fotografien Fotos nachmachen. So wuchs meine Fotosammlung ständig. Auch alte Sterbebilder und Dokumente wurden bei mir sorgfältig verwahrt.
Durch dieses gezielte jahrzehntelange Sammeln sind sehr viele alte Bildaufnahmen in meinem Besitz. Ich habe mich auch in all den Jahren unter Mithilfe von Zeitzeugen bemüht, die auf den Fotos abgebildeten Personen zu erkennen und aufzuschreiben. Alle diese Helfer sind leider schon verstorben. Die genaue Anzahl meiner Fotosammlung kann erst eruiert werden, wenn alle Bilder eingescannt und in der Topothek hochgeladen worden sind. Ich bin aber Besitzern von alten Bildaufnahmen dieser Böhmerwaldheimat sehr dankbar, wenn sie mir leihweise alte Fotografien zur Verfügung stellen. Bei Bildern, welche doppelt vorhanden sind, wäre es schön, wenn Sie mir diese kostenlos überlassen könnten. Trotz meiner großen Fotosammlung tauchen immer wieder neue Bildaufnahmen auf, welche ich noch nicht kenne. Da die ehemaligen Pfarrangehörigen in alle Winde zerstreut sind, ist die Vorgangsweise wie bei anderen Topotheken nicht umsetzbar, dass Leute vorsprechen, Fotos übermitteln, diese sofort von mir eingescannt und hochgeladen werden. Ich sehe mich auch außerstande mit jedem Pfarrbewohner schriftlich in Kontakt zu treten.
Seit 1991 gibt es eine Patenschaft zwischen der Pfarre Deutsch Reichenau bei Friedberg und der Gemeinde St. Oswald bei Haslach. Die ehemaligen Bewohner sind der Patengemeinde St. Oswald sehr dankbar, dass sie diese Patenschaft übernommen hat und es auch seit beinahe 60 Jahren ermöglicht, dass Heimattreffen auch in St. Oswald stattfinden. Auch die Deutsch Reichenauer Heimatstube, welche in St. Oswald eine sehr würdige Stätte gefunden hat und in schönen Räumlichkeiten untergebracht ist und das Deutsch Reichenauer Denkmal, wo Granitfindlinge an jedes Dorf dieser Pfarre erinnern, sind ein bleibender Ort des Verweilens und des Gedenkens.
Der Großteil dieser 16 Dörfer gehörte zur ehemaligen Gemeinde Reiterschlag, heute Pasečná. Sie war auch die einzige Gemeinde Böhmens, welche auf Grund ihrer Lage im Dritten Reich dem Kreis Oberdonau zugeteilt worden war. Nur die beiden Streudörfer Multerberger- und Lindner-Waldhäuser gehörten zur Gemeinde Heuraffl, aber mit der Pfarre ebenfalls nach Deutsch Reichenau bei Friedberg. Da sich die Topotheken immer gemeindeweise präsentieren, soll daher auch der Name der Gemeinde Reiterschlag mit aufscheinen.
Die Gemeindevertretung von St. Oswald bei Haslach mit Bürgermeister Paul Mathe ist an mich herangetreten und hat mich gebeten, meine Fotosammlung für die Patengemeinde zur Verfügung zu stellen. Ich komme diesem Wunsch gerne nach und bedanke mich gleichzeitig bei der Gemeinde St. Oswald bei Haslach für die Möglichkeit, die ehemaligen Bewohner der großen Nachbarsgemeinde in dieser Topothek für die Nachwelt in Erinnerung zu behalten.
Ich wünsche als Vertreter der Bewohner der ehemaligen Gemeinde Reiterschlag/Pfarre Deutsch Reichenau bei Friedberg, dass diese Topothek viele interessierte Besucher findet. Auch viele Ahnenforscher werden hier eine wahre Fundgrube an alten Bildaufnahmen und Fotos ihrer Vorfahren finden, welche sie gar nicht kennen und die ich jahrzehntelang unter großem Arbeits- und Zeitaufwand akribisch gesammelt habe.
Franz Bertlwieser
Topothekar und Besitzer dieser Fotosammlung